Schwefel der Metalle

Die alten Alchemisten kannten ein schwefelhaltiges Öl mineralischer Natur, welches die Metalle vervollkommnet, wenn es auf sie im geöffneten Zustand appliziert wird. Das Öl kann aus dem Blei der Weisen (Saturnus Philosophorum) destilliert werden. Die Alchemisten sagten: „im Saturnus Philosophorum (Steinkohle) steckt ein weißes und ein rotes Öl, das flüchtige Feuer der Natur".


Im „de Pharmaco Catholico“ steht dazu geschrieben: „der Schwefel der Metalle ist ein brennendes hermaphroditisches Feuer. Hermaphroditisch wird er genannt, weil er zweifach ist, der weiße und der flüchtige rote Schwefel“.


Das weiße Öl ist das Benzol (C6H6), eine farblose, brennbare, ölige Flüssigkeit. Benzol kommt in der Natur nicht frei vor. Es kann jedoch aus der schwarzen Magnesia, dem Blei der Weisen, der Steinkohle destilliert werden. Bei der Destillation von Benzol (Verdampfungspunkt 81,1 °C) geht auch eine schwefelhaltige Verbindung Thiophen (Verdampfungspunkt 84 °C) mit über.


Die Struktur des Benzols blieb lange Zeit eine offene Frage. Der deutsche Chemiker August Kekulé (*1829 - †1896) arbeitete lange erfolglos an diesem damals ungelösten Rätsel der Chemie. Kekule´ berichtete 1890 von einem Wachtraum. In der Nacht seiner Entdeckung im Winter 1861 sei er an seinem Schreibtisch gesessen und habe im Halbschlaf das Funkenspiel des Kaminfeuers betrachtet. Mit einem Male, so erzählte er, hätte ein Traum die lang gesuchte Lösung gebracht: Er habe die Kohlenstoff- und Wasserstoffatome vor seinen Augen tanzen gesehen. In diesem Traum sei ihm das alte, alchemistische Symbol der Ourobouros erschienen, eine Schlange deren Kopf in den eigenen Schwanz beißt. Erst dieser Traum verhalf Kekulé zum Durchbruch bei der Frage, wie die heute noch gültige Strukturformel von Benzol aussieht.


Das rote Öl, der rote flüchtige Schwefel der Alchemisten ist das Phenol (C6H6O). Phenol ist sehr viel reaktiver als Benzol. Reines Phenol ist ein farbloses Salz (Schmelzpunkt 41 C°), flüchtig, verdampft bereits bei Zimmertemperatur. Phenol muss daher in einem verschlossenen Glasgefäß aufbewahrt und vor direktem Sonnen- oder Tageslicht geschützt werden. Durch Wasseraufnahme zerfließen die Kristalle allmählich an der Luft, durch Licht und Luft verfärben sich rötlich. Bei etwa 6 % Wasser ist das Gemisch bereits bei 20 °C flüssig. Trotz aller Vorsorge bleibt ein Rotwerden des Phenols aber nicht aus. Historisch anerkannt ist die Entdeckung des Phenols durch den Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge (*1794 - †1867). Runge begann im Sommer 1833 damit Steinkohlenteer zu analysieren. Durch Destillation und Extraktion gelang es ihm tatsächlich neue Stoffe zu isolieren, darunter Phenol.


Johann Rudolph Glauber (*1604 - †1670), ein deutscher Chemiker, und Alchemist beschrieb als einer der ersten die Destillation von Steinkohlen und die Produkte, die er dabei erhielt. Wie schon in den Beschreibungen zuvor, wird die Steinkohle kalziniert (trockene Destillation) und zur Dicke eines Gummis (Steinkohleteer) verdampft. Aus diesem wird zuerst ein geschmackloses Wasser (Gaswasser) destilliert. Wenn dann weiße Dämpfe erscheinen, werden diese aufgefangen und kondensieren zu einer öligen Flüssigkeit (Benzol). Bei fortgesetzter Destillation erscheint ein roter Dampf (Phenol) und zuletzt kommen rote Tropfen. Der Rückstand in der Retorte ist schwarz wie Ruß (Koks). Mit seinen Worten ausgedrückt, Zitat: „Stein-Kohlen aber per se destilliert/ so gehen ein scharffer Spiritus und ein hitziges blutrothes Öl/ so alle feuchte ulcera gewaltig trocknet“. Glauber erhielt wahrscheinlich die Aromate Benzol und Phenol. Hierfür spricht auch, dass er für die letztere Substanz eine antiseptische Wirkung angab. Phenol, auch Karbolsäure genannt, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts als Antiseptikum bei der Wunddesinfektion eingesetzt.


Der moderne Prozess der Steinkohlendestillation klingt verblüffend ähnlich wie die Beschreibungen der Alchemisten. Erhitzt man Steinkohle unter Ausschluss von Luft in geschlossenen Gefäßen auf 600 bis 800 °C, zersetzt sich die Kohle.


10 % Gas

5 % Ammoniakwasser

5 % Steinkohlenteer

80 % Koks


Nach wenigen Minuten entweichen erste Dämpfe, die aus Gas (überwiegend Wasserstoff) bestehen und nicht aufgefangen werden sollten. Sobald jedoch dichte, gelbgrüne Schwaden mit typischem "Kohlenofengeruch" entstehen, kann der Teer aufgefangen werden. Sobald kein Teer mehr entsteht, kann die Retorte aus dem Feuer genommen und entleert werden. Die trockene Destillation der Steinkohle liefert neben dem Leuchtgas eine wässrige Flüssigkeit, das Ammoniakwasser (stark ammoniakhaltig), sowie ein zähflüssiges Destillat, den Steinkohlenteer, in der Retorte bleibt der Koks zurück.

Δ ( > 600 °C ) = H + CH4 + N + CO (Gase) + NH4 + OH- (Ammoniakwasser) + C14H18O4ClN5(Steinkohlenteer) + C (Koks)


Zur besseren Trennung von Ammoniakwasser und Teer werden nun die Produkte in einen Scheidebehälter gefüllt, verschlossen und im Wasserbad erhitzt, bis alles leichtflüssig ist, und sich durchmischt. Lässt man jetzt langsam Abkühlen, erfolgt aufgrund der unterschiedlichen Dichte eine gute Trennung in Schweröle (Naphthalinöl, Anthracenöl) am Boden, Ammoniakwasser und Leichtöle (Benzol, Phenol) obenauf.


 NH4 + OH- (Ammoniakwasser) + C6H6(Benzol)+C6H6O(Phenol) + C10H8 (Naphtalenöl) + C14H10 (Anthracenöl)


Gemäß der Schlüsselformel der Alchemisten „Solve et Coagula“ (Trennen und Zusammenfügen zu einem besseren Ergebnis), müssen der rote Schwefel (Phenol) und der weiße Schwefel (Benzol) wieder vereint werden.


C6H6 (Benzol) + C6H6O (Phenol) → C6H6(C6H6O) (2facher Sulphur)


Das bei der Kondensation anfallende Ammoniakwasser lässt man abkühlen. Es scheiden sich im Unterteil des Auffangbehälters die schweren Teerbestandteile ab, während sich die leichteren Neutralöle im oberen Teil des Auffangbehälters sammelten. Das Phenol wird bei diesem Prozess teilweise durch das Benzol aus dem Ammoniakwasser extrahiert. Im Ergebnis entsteht ein molekulardisperses Zweiphasensystem bestehend aus einer wässrigen Phase (Ammoniakwasser (NH4 + OH-) und einer organischen Phase Benzolphenol (C6H6(C6H6O) Dieses auch Flüssig-Flüssig-Extraktion genannte Verfahren besteht darin, das Solvat (Phenol), das sich in der primären Flüssigkeitslösung (Ammoniakwasser) befindet, in eine andere, nicht mischbare Flüssigkeit (Benzol) zu übertragen.

 

Benzolphenol ist eine klare, durchsichtige, echte Lösung, bei der keine Phasengrenze erkennbar ist. Die Lösung ist physikalisch stabil und homogen, d. h. dass sich die gelösten Phenolmoleküle nicht durch Filtrieren oder Zentrifugieren vom Benzol abtrennen lassen. Bei der Extraktion des Phenols handelt es sich um eine chemische Absorption, die Aufnahme oder das „Lösen“ eines Atoms, Moleküls oder eines Ions in einer anderen Phase. Dieser Vorgang erfolgt nicht durch Anlagerung an der Oberfläche (Adsorption), sondern durch Aufnahme in das freie Volumen der absorbierenden Phase. Die Absorption eines Stoffes durch einen anderen bedeutet eine Vermischung ohne chemische Reaktion. Der Vorgang der Absorption wird durch eine Affinität des einen Stoffes für den anderen hervorgerufen, es besteht eine bestimmte Löslichkeit der Stoffe ineinander. Diese Eigenschaft war bereits den mittelalterlichen Alchimisten bekannt als "Similia similibus solvuntur" : Gleiches löst sich in Gleichem. Dabei erfolgt keine chemische Umwandlung der beteiligten Substanzen. Das Extraktionsverfahren durch Benzol ist bekannt als Benzol-Lauge-Verfahren. Bei diesem heute aber nicht mehr angewandten Verfahren wird Phenol mit Benzol extrahiert und danach an Natronlauge gebunden. Vorbedingung bei solchen Extraktionsverfahren ist immer ein saures Milieu, weil Phenol nur in seiner undissoziierten sauren Form (C6H5OH) zur Wasserstoffbrückenbildung fähig ist und so extrahierbar wird.


In der Natur findet man zahlreiche Phasensysteme in Form homogener Gemische. Natürliches Wasser enthält - je nach Herkunft oder Vorkommen - in verschiedenem Ausmaß gelöste Salze (ionisch aufgebaute Verbindungen). Ein weiteres homogenes Gemisch ist die Luft. Dieses Gasgemisch besteht unter anderem aus Stickstoff und Sauerstoff. Infolge des geringen Extraktionsvermögens von Benzol (der Verteilungskoeffizient zwischen der Phenolkonzentration in der organischen Phase und der Phenolkonzentration in der wässrigen Phase beträgt etwa 2,5:1. Um einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erreichen und das Phenol > 90 % in der Benzolphase anzureichern, lässt man die Benzolphase wiederholt durch die wässrige Phase strömen. Das dadurch entphenolte Ammoniakwasser sammelt sich im unteren Bereich des Behälters, während sich im oberen Bereich des Behälters die Benzol-Phenol-Schicht befindet. Das entphenolte Ammoniakwasser kann weiter zu Ammoniumchlorid (Salmiak) verarbeitet werden. Durch Kochen kann das Ammoniak ausgetrieben, über Ca(OH)2 getrocknet und anschließend in verdünnte Salzsäure eingeleitet werden. Es entsteht Ammoniumchlorid, (Salmiak), der Rohstoff für das Salz der Weisen.


Um die sulphurische Komponente mit der mercurialen Komponente im alchemistischen Sinne zu vereinen, ist das geheime Salz der Weisen, erforderlich.  Der Herstellungsprozess ist wie folgt:


NH4Cl (Ammoniumchlorid)  +  4HTO (Nitrum) → NT4Cl (geheimes Salz)  + 4H2O


Zunächst muss aber der weiße mit dem roten Sulphur vereint werden.


C6H6 (Benzol) + C6H6O (Phenol) → C6H6(C6H6O) (2facher Sulphur)


C6H6(C6H6O) (  2facher Sulphur) + 3NT4Cl (geheimes Salz)  → C12T12O (Azoth)  + 3N + 12H + 3Cl


Es entsteht Azoth (C12T12O), das auflösende Wasser der Alchemisten, bzw. der Mercurius  (HTO), mit dem weißen und roten Sulphur C6H6 (C6H6O) vereint.


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